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April 2019

- Im Wald von Nieder-Roden -

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Mädelsabend. Wir saßen zu fünft um Gabis Wohnzimmertisch, in der Mitte lag ein Stapel verdeckter Karten für unser kleines Erinnerungsspiel. Ich war mit dem Ziehen dran. „‘Erzähle von dem Lieblingsort Deiner Kindheit‘“, las ich laut vor und blickte dann etwas unschlüssig in die Runde. „Na, Du musst aber lange überlegen“, sagte schließlich Renate. „Fällt Dir gar nichts ein? Oder gibt es so viele?“ – „Im Gegenteil, eigentlich nur einen“, antwortete ich zögerlich. „Na, dann leg mal los“, schubste Marita meinen Redefluss an, die anderen nickten zustimmend.

„Also, der Lieblingsort meiner Kindheit ist der Wald von dem damals 5.000-Seelen-'Dorf' Nieder-Roden, wo ich aufgewachsen bin“, begann ich. „Für jemanden, der zum Beispiel aus dem Schwarzwald kommt, wäre dieser Wald gar nichts Besonderes. Ein Mischwald mit Fichten, Birken, Eichen, Buchen eben, dazwischen Schonungen mit Tannenbäumen, ein paar breite Wegschneisen und viele schmale Waldwege, halb von Gras überwachsen. Für mich als Kind schien dieser Wald aber riesengroß und geheimnisvoll. Eine andere Welt, die hinter den Feldern begann und in die Ferne wuchs – bis hinein ins Märchenland. Ich erinnere mich an turmhohe dünne Kiefern mit schaukelnden Nadelkronen und mächtige Baumstämme mit dicken Wurzeln, an dichtes Laub und dunkles Unterholz. In den kleinen Wassergräben am Wegrand kreuchten und fleuchten Molche und Lurche, am Waldrand gab es einen schilfbewachsenen See, genannt der ‚Gänssee‘ – aufregend die vielen Vögel an seinem Ufer. Meine Oma nahm mich gerne mit in den Wald, vielleicht, weil sie Gesellschaft suchte oder wusste, dass es mir dort gefiel. Wir sammelten in Milchkännchen Heidelbeeren und Brombeeren und krochen durch junge Tannenbaumbestände zu ihrem Geheimplatz mit einem Teppich goldgelber Pfifferlinge. ‚Hier unter den Wurzeln im Moos‘, vertraute sie mir damals mit leiser Stimme an, ‚ist das Zuhause der kleinen Wurzelkinder‘. Ihr werdet es mir nicht glauben“, verriet ich meinen Freundinnen, „aber seitdem halte ich immer noch nach ihnen Ausschau, wenn ich in diesem Wald an bemoosten Stellen vorbeikomme. Vergeblich natürlich!“ Ich lachte etwas verlegen, aber keine fand meine Gedanken seltsam. „Tja“, fuhr ich melancholisch gestimmt fort, „dann wurde zuerst der See für das neue Industriegebiet trocken gelegt, danach der Hochwald gerodet, schließlich die Autobahn mit ihren Zubringerstraßen gebaut und ‚mein´ Wald diesseits der Straßen auf ein Fleckchen von etwa 800 Metern Breite und zwei Kilometern Länge gestutzt.“ Ohhs und Ahhs meiner Mädels folgten als Kommentar. Ich fuhr fort: „Doch jedes Mal, wenn ich in Nieder-Roden bin, streife ich dort umher. Mal zu Fuß, mal mit dem Fahrrad. Mal setze ich mich am Weg auf eine Bank, mal abseits ins Moos. Mal ruhe ich nur kurz für ein paar tiefe Atemzüge, mal bleibe ich lang zum Nachdenken oder Nichtdenken. Ich lausche dem vielstimmigen, munteren Gezwitscher der Waldvögel und genieße den unverwechselbaren Geruch von Erde, Holz, Tannen, Moos, Sonne und moderndem Laub." – Wieder reagierten meine Freundinnen: „Gut so!“ „Wirklich?“ „Ganz alleine?“ – „Was ich noch bemerkenswert finde: In diesem Wald ist mir der Autobahnverkehr so was von egal. Das Dröhnen der Flugzeuge im Landeanflug auf Frankfurt übrigens auch. Ich höre es einfach nicht. Ich glaube, dieser Wald kann sein, wie er will, er bleibt für mich immer das, was er mal war – ein wichtiger Teil meines kindlichen Universums, mein ganz persönlicher Märchenwald eben.“ – „Wow, was für ein schöner Erinnerungsort! Dann bin ich mal gespannt, worüber ich jetzt erzählen darf“, sagte Monika und zog die nächste Karte aus dem Stapel.

 

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