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Juli 2023

- Die Grüne Villa bei Nacht -

/1763-3105-thickbox/unterm-sonnenschirm.jpgBei der Pleinairmalerei reizt mich auch der Wettlauf mit der Zeit. Doch ob ich das Rennen gewinne, ist immer ungewiss, vor allem, wenn ich in der Dunkelheit male. Nachts sind schließlich nicht nur alle Katzen, sondern auch alle Farben grau. Also reduziere ich sie auf die Wesentlichen und platziere sie gut voneinander getrennt im Aquarellkasten. Bei einem Bild in großem Format und mit einer Dorfansicht als Motiv erhöht der Einsatz dicker Pinsel meine Erfolgsaussichten – und die gute Vorbereitung, dass mir alle Gebäude, selbst die entfernten, bereits vertraut sind.

Die ‚Grüne Villa‘ in Odeceixe ist ein gutes Beispiel für solch eine unvergessliche Nachtschicht. Ich erinnere mich ganz genau, wie ich startklar an der Terrassenbalustrade stehe und noch einmal tief durchatme. Mit dem ersten Pinselstrich läuft die Zeit ­– und die ist endlich. Zunächst geht es um Orientierung, Einordnung und Zuordnung. Die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit, lernen schnell, sich mit dem sanften Licht der Straßenlaterne zu begnügen. Mit fast schlafwandlerischer Selbstverständlichkeit setze ich Farbstriche und Farbflächen aufs Papier, versuche dabei eine angemessene Ausdrucksform und mein Tempo zu finden. Ich brauche Entschlossenheit und gleichzeitig Bedächtigkeit, Ruhe in der Geschwindigkeit, Entspannung in der Anspannung. Die dicken Pinsel saugen mehr Wasser, das Papier wird feucht. Anders als am Tag ist die Luft jedoch kühl und die Farben trocknen nur langsam. Deshalb arbeite ich nicht wie sonst von der Mitte nach außen, sondern an verschiedenen Stellen des Bildes, um ein ungewolltes Ineinanderfließen der Farben zu verhindern. Manchmal warte ich, bis das feuchte Schimmern auf dem Papier verschwunden ist. Strecke mich, dehne mich. Es ist jetzt schon weit nach Mitternacht, langsam verblassen alle Geräusche und verschwinden gänzlich mit fortschreitender Zeit. Wie eine Decke liegt die Stille über dem Dorf, dem ganzen Land. Keine Motoren, keine Stimmen. Nur die Meeresbrandung mit ihrem rhythmischen Donnern begleitet mich leise und zart aus weiter Ferne.

Alles und jeder schläft dem Morgen entgegen. Der Mond zieht weiter ruhig auf seiner Bahn dahin, Wolkenschleier huschen über die blinkenden Sterne. Ich empfinde das Malen nicht mehr als Wettlauf, habe kein Gefühl mehr für die Uhrzeit. Nur noch für den Moment und das Bild, das sich langsam Strich für Strich, Fläche für Fläche auf dem Papier gestaltet. Ich lasse alle Gedanken los, lasse mich fallen, bin selbstvergessen wie im Spiel – bis der erste Hahnenschrei laut und schrill die samtweiche nächtliche Stille durchschneidet. Der Tag ist nah. Schon antworten aus der Ferne weitere Weckrufe. Doch mein Bild ist noch nicht fertig, es fehlen die Tiefe des Himmels, die Dunkelheit selbst, die Schatten in der blaustichigen Schwärze. Der erste Hauch der Morgendämmerung vertreibt den Nachtzauber, der Endspurt beginnt. Ich bin auf der Zielgeraden. Jede Minute, jeder Pinselstrich zählt. Mit angehaltenem Atem führt meine Hand schnell und entschlossen den Pinsel vom Wassertopf zum Malkasten und dann zum Papier. Ich bin jetzt hochkonzentriert und angespannt, mein Herzschlag rast. Jeder Hahnenschrei treibt mich weiter an. Es gibt noch Lücken auf dem Papier, ich muss sie füllen. Schnell, schneller, die letzten Meter…

Und dann ist er da, der graue Morgenschimmer, und überdeckt mit einem Mal alle Farben der Nacht. Ich lege den Pinsel zur Seite. Das Bild ist beendet, es bleibt so wie es ist. Bin ich zufrieden? Ja. Gefällt es mir? Und wie. Ich habe bei diesem schwierigen Motiv den Wettlauf mit der Zeit gewonnen – und das macht mich bis heute glücklich.

 

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