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Dezember 2020

-  Die Weltzeituhr  -

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Vor langer Zeit, als das Land und die Stadt noch von einem menschenunwürdigen Grenzstreifen durchschnitten wurde, lebten meine Eltern und ich im Westen, meine Großeltern im Osten Deutschlands. Als Kind befreundete ich mich bei unseren DDR-Besuchen mit Annekatrin, einem Nachbarskind meiner Großeltern, viele Jahre verband uns eine Brieffreundschaft. 1975 trafen wir uns zum ersten Mal als junge Erwachsene an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin. Wir beiden nannten unseren Treffpunkt den ‚Nabel der Welt‘ und träumten uns fortan von hier aus gerne in eine Zukunft, in der das Land wieder vereint sein würde und wir uns überall auf der Welt verabreden könnten.

Damals wirkte der Alex fast so menschenleer wie im November 2020, als ich mich entschied, nun sei der Zeitpunkt gekommen, unseren alten Treffpunkt, die Weltzeituhr, zu malen. Es war ein sonniger, viel zu milder Herbsttag, als ich mich vor der kleinen Berliner Sehenswürdigkeit platzierte. Sie ist eine Maschine zur Darstellung der Bewegung der Zeit: Eine Rotunde steht auf einer Säule. An den Säulenuhren gleiten die Minuten, auf der Rotunde die Stunden unbeirrbar dahin. Darüber kreisen die Planeten gleichmäßig und schnell auf ihren Bahnen um einen Mittelpunkt. Seit 1975 hat sich viel verändert, Deutschland ist wieder vereint, Berlin die neue, alte Hauptstadt, meine Freundin Annekatrin habe ich aus den Augen verloren. Doch unseren ‚Nabel der Welt‘ gibt es zum Glück noch immer auf dem Alexanderplatz.

Ich stehe vor der mitteleuropäischen Zeitzone, in meiner Nähe geigen eine junge Mutter und ihre kleine Tochter für die Passanten. Eine Frau meines Alters spendiert mir überraschenderweise einen Kaffee. An der Weltzeituhr habe sie sich bis vor kurzem jeden ersten Samstag im Monat mit ihren Freundinnen getroffen, erzählt sie mir. Sehen und jesehen werden, een bissken Amüsemang, dat sei bei ihnen jute Tradition. Wegen Corona komme nun keine Freundin mehr nach Berlin gereist. Mist. Sind denn die juten Zeiten für immer dahin? 2020, wat für een Jahr. So wenige Menschen uff dem Platz, alle mit Masken vor de Visage. "Ick meen, det wird doch bald wieder jehn, det man sich wie früher janz locker trifft, oder?", macht uns beiden die Frau in bester Berliner Mundart Mut und hängt sich ihre Tasche über die Schulter. Zum Abschied murmelt sie:  "Klar doch, die Zeit jeht vorbei. So wie icke, ick muss jetzt ooch mal weiter."

Es ist Nachmittag geworden, als ich mein Bild beendet habe. Ich umkreise noch mal die Weltzeituhr, lese mir alle 146 Städtenamen laut vor, frage mich, was die Leute in den verschiedenen Zeitzonen wohl gerade tun: aufstehen oder zu Bett gehen, arbeiten oder schlafen? Scheint die Sonne oder der Mond, haben sie Winter oder Sommer oder gar keine nennenswerte Jahreszeit? Für mich bedeutet die Berliner Weltzeituhr deshalb so etwas wie der ‚Nabel der Welt‘, weil sie die Weltgemeinschaft auf eine besondere Art und Weise miteinander verbindet, indem sie die Zeit in den Weltmittelpunkt rückt. Genau deshalb hatte ich mich entschieden, sie 2020 zur Zeit der zweiten Corona-Welle zu malen. Allein schon der Gedanke an Bewegung und Veränderung kann beruhigend und tröstend wirken. Auf dem Weg nach Hause spendiere ich dem Akkordeonspieler im U-Bahnhof einen Kaffee. Bis die Zeiten wieder besser werden, muss man sich eben einfach gegenseitig unterstützen und aufmuntern.

 

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